„Es geht nicht darum, Kindern alles abzunehmen“

Interview: Auch Kinder und Jugendliche leiden schon unter Stress

Schule und Hausaufgaben, dann zum Musikunterricht, Tennis oder Handball – Kinder und Jugendliche haben oft einen prall gefüllten Terminkalender. Wann werden die Aufgaben zu viel? Darüber sprach MENSCH mit dem Entwicklungspsychologen Prof. Arnold Lohaus von der Universität Bielefeld.

Wie gestresst sind Kinder und Jugendliche heutzutage?

Untersuchungen zeigen, dass sich schon im Grundschulalter rund 30 Prozent der Kinder mehr oder weniger stark gestresst fühlen. Die Stressfaktoren sind vielfältig, das reicht von den digitalen Medien, deren Nutzung gewaltig zugenommen hat, bis zu den Erwartungen der Eltern, die tendenziell höher geworden sind. Schulischer Erfolg spielt eine immer wichtigere Rolle, das eigene Kind soll möglichst Abitur machen. Auch die Familien verändern sich, oft haben Eltern nur noch ein oder zwei Kinder, auf die sich dann alles konzentriert. Das kann Kinder schon ganz schön unter Druck setzen.

Wobei viele Kinder damit ja auch gut umgehen können ...

Jeder Mensch ist anders. Es gibt resilientere Kinder, die belastbarer und seelisch widerstandsfähiger sind. Sie gehen das Leben optimistisch an, während andere Kinder sensibler sind und Druck weniger gut aushalten können.

Wie erkennen Eltern, dass ihr Kinder überfordert ist?

Oft zeigt sich das über körperliche Beschwerden. Kopfschmerzen, Bauchweh, Schlafstörungen können Hinweise darauf sein, dass ein Kind mit den Anforderungen nicht klarkommt. Längst nicht immer formulieren Kinder und Jugendliche, was sie belastet. Aber wenn der Nachwuchs sagt, das schaffe ich nicht, sollten Eltern hellhörig werden und das ernst nehmen.

Wie können Eltern ihren Kindern dann helfen?

Es geht nicht darum, Kindern alles abzunehmen oder sie vor allen Belastungen zu schützen. Heranwachsende lernen im Umgang mit schwierigen Situationen, im besten Falle entwickeln sie Strategien, die ihnen im späteren Leben helfen. Dabei sind die Eltern auch Vorbilder! Ich kann meinem Sohn oder meiner Tochter ruhig erzählen, dass ich heute einen anstrengenden Tag hatte und jetzt etwas Ruhe brauche oder durch den Wald joggen gehe – also vorleben, wie ich selbst für mich sorge. Ebenso können Eltern mit ihren Kindern Entspannungstechniken einüben und gemeinsam überlegen: Was verursacht bei uns Stress? Wie teile ich die Zeit besser ein? Wenn zu viele Termine den Alltag bestimmen, sollten Eltern aber auch ganz praktisch überlegen, was wegfallen kann.

Unser Leben ist bunt und vielfältig, es gibt so viele Angebote, dass Kinder kaum noch Langeweile erleben. Fehlt ihnen das für eine gute Entwicklung?

Langeweile fehlt Kindern bestimmt nicht, das ist ja ein Zustand, den sie überhaupt nicht gut finden. Viel wichtiger erscheint mir, dass Kinder und Jugendliche auch noch Freiräume haben, die sie selbst gestalten können. Das ist durch erweiterte Schulzeiten und die vielen Freizeitangebote schon weniger geworden. Eltern sollten darauf achten, dass Kinder wirklich freie Zeit haben und die Zeit ihrer Kinder nicht gleich wieder mit Angeboten und Aktivitäten füllen.