Ich höre was, was du nicht hörst

„Niemand glaubt mir, wie viel Qual mir der Schwindel, das Klingeln und Sausen der Ohren verursacht. Ich wage nicht, eine Stunde ununterbrochen zu lesen, auch nicht etwas klar zu durchdenken oder zu betrachten; sogleich ist nämlich das Klingeln da und ich sinke der Länge nach dahin.“ Wer da so verzweifelt von seinem Leiden berichtet, ist kein Geringerer als Martin Luther. Der Reformator litt unter Ohrgeräuschen und interpretierte sie zuweilen als „Stimme des Teufels“.

Tinnitus: Lärm, Stress oder Infektionen können Auslöser sein

Was Luther als Teufelswerk bezeichnete, fasst man heute unter dem Begriff Tinnitus zusammen. Tinnitus ist keine Krankheit, sondern ein Symptom, das von unterschiedlichen Faktoren ausgelöst werden kann. Von vielen Musikern weiß man, dass sie davon betroffen sind, darunter auch Prominente wie Phil Collins, Bob Dylan, Sting, Bono, Ozzy Osbourne und Barbara Streisand. Das hängt damit zusammen, dass sie durch ihren Beruf oft einem erhöhten Schallpegel ausgesetzt sind. Aber ein Tinnitus kann auch andere Ursachen haben – zum Beispiel Stress, Infektionen oder Bluthochdruck.

In Deutschland haben etwa 25 Prozent der Männer und Frauen schon einmal Ohrgeräusche wahrgenommen. Der Deutschen Tinnitus-Liga (DTL) zufolge leiden etwa 1,5 Millionen Menschen hierzulande unter mittelgradigem bis unerträglichem Tinnitus. Die akute Form des Tinnitus ist zwar häufiger, jedoch geht nach Informationen der DTL jährlich bei rund 340.000 Menschen ein akuter Tinnitus in eine chronische Form über. Als chronisch gilt er ab etwa drei Monaten. „Die Betroffenen erleben ihren Alltag durch Ohrgeräusche so behindert, dass sie oft nicht schlafen können, in ihrer Konzentration beeinträchtigt sind oder sie auch psychischen Belastungen nicht mehr standhalten können“, macht die Deutsche Tinnitus-Liga die Schwere möglicher Folgen deutlich.

Tinnitus stellt sich häufig nach einem Hörsturz ein. Diese Variante bildet sich aber oft zurück, etwa durch eine Kortisonbehandlung. In den meisten Fällen ist Tinnitus jedoch das Resultat einer Überlastung des Ohrs, etwa nach einem lauten Konzert oder auch durch Dauerbeschallung über Kopfhörer. Die Palette der weiteren möglichen Auslöser reicht von seelischen Belastungen über orthopädische Probleme im Kiefer bis zu ernsthaften Krankheiten wie einem Tumor.

Behandlungsmöglichkeiten

Halten Ohrgeräusche länger als 24 Stunden an, sollte man unbedingt zu einem HNO-Arzt gehen. Der wird verschiedene Untersuchungen vornehmen und bei Bedarf auch andere Fachärzte zurate ziehen. „Wichtig ist, dass die Behandlung so schnell wie möglich nach Einsetzen der Ohrgeräusche startet“, so die Erfahrung der Deutschen Tinnitus-Liga. Eine bewährte Methode ist die Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT). Dabei werden Betroffene umfassend über die medizinischen Zusammenhänge der Ohrgeräusche aufgeklärt und lernen Methoden, die den Umgang mit dem Tinnitus erleichtern. Bei seelischen Beschwerden sollte man den Weg zum Psychotherapeuten nicht scheuen. Als hilfreich kann sich auch eine Selbsthilfegruppe erweisen.