Lebensqualität verbessern

Im Frühjahr 2012 hat in Bethel das bundesweit erste Kinder- und Jugendhospiz in diakonischer Trägerschaft seine Arbeit aufgenommen. Begleitet wird es von einem wissenschaftlichen Projekt der Fachhochschule für Diakonie, das sich die Weiterentwicklung der dortigen Hilfsangebote zum Ziel gesetzt hat. Die BKK Diakonie unterstützt dieses Projekt. MENSCH sprach mit Prof. Dr. Hilke Bertelsmann und Dipl.- Heilpädagogin Angela Quack über Einzelheiten und Hintergründe.

MENSCH: Was unterscheidet Kinder- und Jugendhospize von Hospizen für erwachsene Menschen?

Quack: Im Gegensatz zum Erwachsenenhospiz, wo Menschen ihre letzte, in der Regel sehr kurze Lebensphase verbringen, ist ein Kinder- und Jugendhospiz ein Ort, wo Familien mit ihren lebensverkürzend erkrankten Kindern Erholung und Beratung finden, wo sie sich immer wieder neu ausrichten können. Einige Kinder versterben auch an diesem Ort, aber in erster Linie geht es um das Leben davor.

Lebensverkürzend erkrankt, was heißt das konkret?

Bertelsmann: Viele der Kinder und Jugendlichen haben unheilbare Stoffwechselerkrankungen, wie zum Beispiel lysosomale und neurodegenerative Speichererkrankungen, progressive Muskeldystrophien. Oft treten die Erkrankungen schon von Geburt an auf, manchmal aber auch erst im Verlaufe der ersten Lebensjahre. Die Lebenserwartung ist in der Regel stark verkürzt. Anders als bei an Krebs erkrankten Kindern, bei denen man oft bis zum Schluss noch auf Heilung hofft, ist hier klar, dass die Betroffenen nicht sehr alt werden. Damit müssen die Familien fertig werden, sie müssen jedoch auch in ihrem Alltag zurechtkommen.

Für die Arbeit in Kinder- und Jugendhospizen existieren sorgfältig erarbeitete Konzepte. Warum, glauben Sie, besteht die Notwendigkeit zur Weiterentwicklung?

Bertelsmann: Die Arbeit in einem Kinder- und Jugendhospiz ist von hoher Qualität, davon kann man sicher ausgehen. Wenn man etwas gut macht, heißt das aber nicht, dass man es nicht auch noch besser machen könnte. Das Kinder- und Jugendhospiz in Bethel versteht sich als eine lernende Institution. Letztlich geht es darum, die Lebensqualität von Familien mit lebensverkürzend erkrankten Kindern so optimal wie möglich zu gestalten.

Sie haben also nicht nur das betroffene Kind im Blick, sondern genauso auch die Eltern und Geschwister?

Quack: Genau, man darf nicht nur das betroffene Kind sehen, sondern muss die Familie als ein System betrachten. Das Wohlbefinden von Kind und Familie ist ja ganz eng aneinandergekoppelt. Was bedeutet es für die psychosoziale Situation der Familie, für die Paarbeziehung der Eltern, für die Entwicklung der Geschwister, für das Eingebunden- und Beteiligtsein in Freundeskreise, Nachbarschaft, Schule und Beruf, wenn ein Familienmitglied so schwer erkrankt ist? Woraus schöpfen die Familien Kraft und was ist besonders belastend? Und wie wirkt sich die Situation der Familie wieder auf die erkrankten Kinder und Jugendlichen aus?

Wie bekommen Sie möglichst realistische Einblicke in die Familien?

Bertelsmann: Wir betreten im Grunde genommen Neuland, denn über Kinderhospize und alles, was damit zusammenhängt, ist bislang noch nicht viel geforscht worden. Folglich wissen wir auch wenig über Familien mit lebensverkürzend erkrankten Kindern. Um zu erfahren, was sie unter einer guten Lebensqualität verstehen, fragen wir sie am besten selbst. Sie sind Experten in eigener Sache. Wir gehen in die Familien als Lernende und nicht mit einem vorgefassten Konzept – das ist der besondere Ansatz bei in diesem Projekt.

Wie gehen Sie an Ihre Arbeit heran? Was tun Sie konkret?

Quack: Zunächst werden wir versuchen, mit einigen Familien ins Gespräch zu kommen. Sie sollen ausführlich über ihre Lebenssituation erzählen – freiwillig und ganz ohne Druck. Welche positiven Einflussfaktoren sehen sie, welche negativen? Ziel ist, einen Fragebogen zu entwickeln, mit dem man dann generell die Lebensqualität dieses Personenkreises erheben kann. Mithilfe dieses Messinstruments kann man dann die Auswirkungen von Veränderungen in der Begleitung im Kinderund Jugendhospiz Bethel beobachten und schrittweise verbessern. Die Ergebnisse lassen sich natürlich auch auf andere vergleichbare Einrichtungen übertragen.

Das Hospiz

Das Kinder- und Jugendhospiz Bethel ist das bundesweit erste in diakonischer Trägerschaft. Bis zu zehn Kinder und Jugendliche mit lebensverkürzenden Krankheiten finden hier Aufnahme – zusammen mit ihren Familien. Die Baukosten betrugen 5,2 Millionen Euro und wurden komplett durch Spenden der Freunde und Förderer Bethels finanziert. Die ersten Gäste zogen Ende März 2012 ein, offiziell eröffnet wurde das Haus Anfang Mai. Weitere Infos zum Kinderhospiz finden Sie im Internet unter www.kinderhospiz-bethel.de