Mehr aufeinander achten

K.O.-Tropfen – was ist aus ärztlicher Sicht dazu zu sagen? Wir fragten bei Tim Emmrich im Kinderzentrum in Bethel nach. Der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie hat regelmäßig mit dem Thema zu tun.

K.O.-Tropfen, was genau verbirgt sich dahinter?

Emmrich: In der Medizin sprechen wir lieber von K.O.-Mitteln. Dieser Begriff ist wesentlich weiter gefasst. Die häufigste, bei Sexualdelikten nachgewiesene Substanz ist nach wie vor Alkohol, gefolgt von illegalen Drogen. Das, was gemeinhin unter der Bezeichnung K.O.-Tropfen läuft, sind Hypnotika, etwa Gamma-Hydroxybuttersäure, auch GHB oder „Liquid Ecstasy“ genannt.

Warum gibt es diese Substanzen überhaupt?

Emmrich: Einige dieser Substanzen haben, wenn sie zielgerichtet angewendet werden, einen therapeutischen Sinn. Sie werden zum Beispiel als Kurzzeitnarkotikum verwendet oder um Ängste zu lösen. Leider werden diese Mittel manchmal auch dazu benutzt, um Menschen willen- und wehrlos zu machen und sich dann an ihnen zu vergehen. Aber wie gesagt: K.O.-Mittel Nummer eins ist Alkohol. Das berüchtigte Koma-Trinken heißt nicht umsonst so. Auch dabei kommt es oft zu Übergriffen, ohne dass die Betroffenen sich nachher daran erinnern können.

Was passiert mit Opfern von K.O.-Mitteln, wenn sie sich in ärztliche Obhut begeben?

Emmrich: Eine sorgfältige Anamnese und Befunderhebung sowie Sicherstellung von Beweismitteln bildet die Basis für die Aufdeckung entsprechender Fälle. Das ist aber nicht immer leicht, denn es gibt in der Regel nur ein bestimmtes Zeitfenster, in dem etwas konkret nachgewiesen werden kann. Die Gedächtnislücke, die meistens vorliegt, ist natürlich auch ein großes Problem bei der Aufklärung. Man muss also versuchen, verschiedene Puzzleteile zusammenzusetzen. Das gelingt zum Glück immer wieder.

Also sollte man sich nicht scheuen, Hilfe zu holen?

Emmrich: Das sollte man unbedingt tun! Mögliche Anlaufstellen sind die Notaufnahmen von Krankenhäusern, der Hausarzt oder die Polizei. Auch die Drogenberatungsstellen kennen sich bestens mit der Thematik aus. Hilfesuchende werden überall auf großes Verständnis stoßen. Man muss also keine Angst vor diesem Schritt haben.

Haben Sie sonst noch einen Ratschlag?

Emmrich: Ja, wir sollten stärker aufeinander achten! Wir hören immer wieder von Jugendlichen, dass sie sich in einer Notsituation alleine gelassen gefühlt haben. Da wird erst eine Weile zugeschaut, bevor sich der Erste einmischt. Ein bisschen mehr Zivilcourage täte uns allen gut.

K.O.-Tropfen: Die Gefahr lauert im Glas!

In letzter Zeit mehren sich wieder die Vorfälle, bei denen offenbar sogenannte K.O.-Tropfen zum Einsatz gekommen sind. Die Tropfen werden von Tätern gezielt in offen stehende Getränke von Mädchen und Frauen gegeben. Dies geschieht in Discos, Kneipen und auf Partys. Die Substanz macht die Opfer willen- und wehrlos. Nicht selten kommt es zu massiven sexuellen Übergriffen.

„In Beratungsstellen gibt es immer wieder Anfragen von Mädchen und jungen Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben und vermuten, dass ihnen vorher sogenannte K.O.- Tropfen verabreicht wurden“, berichtet Birgit Hoffmann vom Verein „Mädchenhaus Bielefeld“. „Da der Nachweis dieser Substanzen nur sehr kurze Zeit möglich ist, bleibt es für die Mädchen oft ungeklärt, ob sie mit ihrer Vermutung Recht haben oder nicht.“ K.O.-Tropfen kann man nicht sehen, nicht riechen und nicht schmecken. Mädchen und Frauen haben also kaum eine Chance, die heimlich zugeführten Tropfen in ihrem Getränk zu bemerken.

Hinter den Tropfen können sich unterschiedliche Substanzen verbergen. Häufig handelt es sich dabei um die GammaHydroxybuttersäure (GBH). Direkt nach der Einnahme merken die Betroffenen meist nur, dass ihnen übel und schwindlig wird. Sie vermuten häufig, dass dies die Wirkung des Alkohols ist, obwohl sie bis dahin dachten, gar nicht so viel getrunken zu haben. Bereits vor dem Verlust des Bewusstseins sind die Mädchen durch die Wirkung der K.O.-Tropfen schon willenlos und sehr leicht manipulierbar. Trotzdem können sie dann noch eine Zeit lang normal reden und sich bewegen und ihre Freundinnen oder andere Außenstehende bemerken nicht, dass sie eigentlich schon einen „Blackout“ haben. Dies – so Hoffmann – erkläre, warum K.O.-Tropfen in öffentlichen Räumen verabreicht wer den. „Dem Täter bleibt genug Zeit, mit dem Mädchen Kontakt aufzunehmen, sich vielleicht vermeintlich hilfsbereit als Begleitung nach draußen anzubieten, um ihm dann auf dem Parkplatz oder in einem nahe liegenden Gebüsch Gewalt anzutun.“

Verlust des Erinnerungsvermögens

Nach dem Erwachen aus der Bewusstlosigkeit haben die Mädchen und Frauen das Problem, dass sie sich gar nicht oder nur sehr bruchstückhaft erinnern können. Manche haben nur das vage Gefühl, dass etwas Seltsames passiert ist, oder sie spüren, dass es zu einem Übergriff gekommen ist. Manche wissen nicht mehr wann, wie und von wem sie wohin gebracht wurden. Sie wachen vielleicht an Orten auf, die sie nicht kennen und die unter Umständen auch nicht mit dem möglichen Tatort identisch sind. Falls der Täter ein Freund oder Bekannter war, behauptet er, das Mädchen hätte es so gewollt und alle sexuellen Handlungen freiwillig und aktiv mitgemacht. Hoffmann: „Oft zweifeln die Betroffenen an sich selbst. Aus Angst, dass ihnen niemand glaubt oder ihnen unterstellt wird, sie hätten einfach nur zu viel getrunken, sprechen viele nicht über den Vorfall. Sie leben mit der bleibenden Ungewissheit und dem Erinnerungsverlust.“

Der Nachweis der Substanzen ist meist nur 12 bis 48 Stunden nach der Verabreichung möglich. Wenn ein Verdacht besteht, ist es wichtig, schnell zu handeln. Der Nachweis kann durch eine Blut- oder Urinprobe erbracht werden. Mögliche Anlaufstellen sind die nächstgelegene Krankenhaus-Notaufnahme und/oder die Polizei.

Das schützt vor dem „K.O.cktail“:

  • Lass dein Glas nie unbeobachtet, bestelle im Zweifelsfall ein neues Getränk
  • Besprich mit deinen Freundinnen, dass ihr gegenseitig auf eure Gläser achtet
  • Nimm nur Getränke an, deren Weg du von der Theke an verfolgt hast
  • Wenn du mit Freundinnen ausgehst, dann geht auch gemeinsam wieder nach Hause
  • Wenn dir bei einer Freundin auffällt, dass sie schlagartig total aufgedreht ist, wahllos auf Jungs oder Männer zugeht und heftig flirtet, behalte sie im Blick und lass sie nicht alleine zurück
  • Sei dir bewusst, dass die Täter sowohl Fremde als auch Freunde sein können
  • Zögere nicht die Disco oder eine Feier zu verlassen, wenn du dich dort nicht sicher fühlst
  • Wende dich an Freundinnen oder an das Personal, wenn dir in der Disco, der Kneipe oder auf einer privaten Feier plötzlich übel, schwindlig oder dämmerig wird
  • Gehe sofort ins Krankenhaus und/oder wende dich an die Polizei