„Viele Menschen sind von der Informationsflut überfordert“

Gesundheitskompetenz in Deutschland – unter Federführung der Bielefelder Gesundheitswissenschaftlerin Prof Dr. Doris Schaeffer ist dazu eine repräsentative Studie erstellt worden. Im Gespräch mit MENSCH erläutert sie einige ihrer daraus gewonnenen Erkenntnisse.

Interviewer: "Das Internet steckt voller Informationen zum Thema Medizin und Gesundheit. Ist das ein Segen oder doch eher ein Fluch?"
Prof Dr. Doris Schaeffer: "Es ist in der Tat so, dass man sich nicht mehr besonders bemühen muss, um an Informationen zu kommen. Die Menge ist geradezu erschlagend. Die eigentliche Herausforderung besteht heute darin, aus der Vielfalt an Informationen diejenigen herauszufiltern, die jeweils relevant sind. Insofern ist das Internet in vielen Fällen mehr Fluch als Segen."

Interviwer: "Also trägt das Netz auch nicht automatisch zur Aufklärung und Mündigkeit der Patienten bei, wie man bei oberflächlicher Betrachtung meinen könnte?"
Prof Dr. Doris Schaeffer: "Nein, denn die Menge sagt nichts über die Qualität aus. Und die Qualität der Informationen stimmt häufig nicht. Das führt dann unter Umständen zu Fehlinformationen und falschen Interpretationen, nicht selten sogar zu Fehlverhalten."

Interviewer: "Sie haben in Ihrer Studie herausgefunden, dass es bestimmte Gruppen in unserer Gesellschaft besonders schwer haben. Wer ist in punkto Gesundheitskompetenz am schlechtesten dran?"
Prof Dr. Doris Schaeffer: "Mehr als die Hälfte der Deutschen fühlt sich nicht in der Lage, kompetent mit Gesundheitsinformationen umzugehen und ist überfordert – das sind mehr Menschen als bislang angenommen. Ebenso wurden soziale Ungleichheiten deutlich. Besonders häufig sind Menschen mit Migrationshintergrund und niedrigem Bildungsstand, ältere Menschen und chronisch Kranke vor Probleme im Umgang mit Gesundheitsinformationen gestellt. Überrascht hat uns vor allen der hohe Anteil der chronisch Erkrankten, weil man eigentlich meinen sollte, dass sie durch ihre intensiven Krankheitserfahrungen automatisch über mehr Kompetenzen verfügen. Stattdessen scheinen eher Irritationen, Verunsicherungen und Schwierigkeiten die Folge zu sein."

Interviewer: "Müsste sich nicht auch im Verhältnis Arzt-Patient etwas ändern?"
Prof Dr. Doris Schaeffer: "Das Mediziner-Latein ist doch noch immer weit verbreitet. Und der Patient kann sein Anliegen häufig nicht zufriedenstellend rüberbringen, weil keine wirkliche Kommunikation entsteht. Patienten wollen einen Gesprächspartner, der genau hinhört, die richtigen Fragen stellt und hilfreiche Antworten gibt. Das läuft aber vielfach nicht so. Etwa die Hälfte von dem, was Ärzte erzählen, verstehen die Patienten nicht richtig. Viele Patienten sind zudem überfordert von Aufklärungsbögen und Beipackzetteln. Eine weitere Herausforderung besteht in der Veränderung unserer Gesellschaft. Die Ärzte werden sich in Zukunft nicht nur mehr Zeit nehmen müssen, sondern sich auch stärker den Menschen zuwenden müssen, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind – Stichwort Migration."

Interviewer: "Wo müssten grundsätzliche Verbesserungen ansetzen?"
Prof Dr. Doris Schaeffer: "Schon in der Vorschulerziehung und in den Schulen muss man anfangen, das Thema Gesundheit zum festen Inhalt zu machen. Und dann bedarf es natürlich auch entsprechender Änderungen im Gesundheitswesen. So sind Anstrengungen notwendig, um die Förderung von Gesundheitskompetenz zu einem Muss für die Gesundheitsberufe zu machen, d. h. zu einer elementaren Aufgabe besonders der Ärzte, aber auch der Pflege und der psycho- sozialen Helferberufe. Das ist sicher einfacher gesagt als getan, aber möglich, wenn die nötigen Voraussetzungen in der Ausbildung geschaffen werden."

Interviewer: "Haben Sie Hoffnungen, dass sich in Zukunft tatsächlich genügend ändern wird?"
Prof Dr. Doris Schaeffer: "Zunächst muss ein Bewusstsein für das Thema Gesundheitskompetenz entstehen, und da stellen wir erfreulicherweise eine große Offenheit fest. Auch bei Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe."

Doris Schaeffer ist seit 1997 Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. Sie leitet dort den Bereich Versorgungsfor-schung/Pflegewissenschaft sowie das Institut für Pflegewissenschaft. Bevor sie nach Bielefeld kam, war sie lange Jahre am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in der Arbeitsgruppe „Public Health“ und an der FU-Berlin, u. a. im Institut für Soziale Medizin tätig. Sie war und ist Mitglied zahlreicher Gremien und Expertenkommissionen. Foto: Michael Fuchs, Remseck

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