Der Stille Raum geben

In unserem geschäftigen Alltag ist oft kein Platz für sie. Und so leise, wie sie daherkommt, wird sie schnell übertönt – die Stille. Doch es lohnt sich, immer wieder für ruhige Phasen zu sorgen, um Kraft zu tanken und zu uns selbst zu finden.

Wie Lärm und Ruhe unsere Gesundheit beeinflussen

Die Glocke der kleinen Kapelle läutet ein paar Mal. Der Ton verklingt, dann breitet sich Stille aus, erfüllt den ganzen Raum. Schwester Anke Frickmann, Leiterin im „Haus der Stille“ in Bielefeld-Bethel, genießt diesen Moment. „Die Atmosphäre hier führt mich zu meiner eigenen Mitte. Ich kann loslassen und mich konzentrieren zugleich.“ Eine Erfahrung, die auch viele Gäste suchen. Im „Haus der Stille“ können Besucher eine Auszeit vom Alltag nehmen oder einfach kurz innehalten, in der Mittagspause zum Beispiel oder nach der Arbeit.

Das Bedürfnis nach solchen Rückzugsorten ist groß, beobachtet die leitende Schwester der Sarepta-Gemeinschaft, und es wundert sie nicht. Beruf, Haushalt, Hobbys fordern uns. So manch einer fühlt sich wie im Hamsterrad. „Wir Menschen sind mit so vielen Reizen umgeben, unser Alltag ist so temporeich.“ Stille lässt uns einen Gang herunterschalten und bringt uns in Kontakt mit uns selbst. Oder wie es Anke Frickmann formuliert: „Stille ist ein Resonanzraum, um zu hören, was in mir ist. Um zu fühlen, was mich bewegt. Um zu merken, was mir wichtig ist.“

Stille suchen heißt nicht, die Ohren zu verschließen. Wir leben in einer Welt voller Töne und Klänge. Sie geben uns Orientierung, sind wichtige Sinnesreize, im Gespräch finden wir zueinander. Problematisch wird es, wenn uns zu viel und zu laute Akustik umgibt. Das muss nicht gleich die Baustelle mit einem Presslufthammer sein. Auch permanentes Tastengeklapper im Großraumbüro oder das Brummen der nahe gelegenen Straße kann unser Wohlbefinden stören. Laut Bundesumweltamt fühlt sich jeder zweite Bürger durch Autos und Lkw belästigt. Straßenverkehr gilt als Lärmquelle Nr. 1 in Deutschland, gefolgt von Nachbarschaftslärm.

Gesundheitliche Folgen von Lärm

Eine laute Geräuschkulisse nervt dabei nicht nur, sie kann auch zu gesundheitlichen Problemen führen. Stresshormone werden ausgeschüttet, der Blutdruck steigt, wir können uns weniger gut konzentrieren oder leiden unter Schlafstörungen, erklärt Dirk Schreckenberg vom Arbeitsring Lärm der Deutschen Gesellschaft für Akustik. Ab einem Dauerschallpegel von 60 Dezibel, so laut ist es etwa an einer gut befahrenen Hauptstraße, steige das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein Dauerschallpegel ab 85 Dezibel gilt als kritisch und kann zu Gehörschäden führen. Selbst im Schlaf nimmt der Körper Geräusche wie Fluglärm oder ratternde Güterzüge wahr und reagiert darauf, betont der Umweltpsychologe. „Das Ohr schläft nicht.“

Manchen Belastungen setzen wir uns zusätzlich noch freiwillig aus, stöpseln uns Kopfhörer ins Ohr oder drehen die Musik laut auf. In der Disco oder auf Konzerten werden schnell Werte von 110 Dezibel erreicht – und die Besucher lieben es. Ein leises Weckerticken, wenn man einschlafen will, kann einen dagegen aus der Ruhe bringen. „Geräusche werden je nach Situation sehr unterschiedlich wahrgenommen“, sagt Lärmforscher Schreckenberg. Auch ob wir Verursacher sind oder nicht, macht einen Unterschied. Das eigene Rasenmäher-Getöse nehmen wir klaglos hin, die Partymusik aus Nachbars Garten lässt unseren Blutdruck dagegen in die Höhe schnellen. „Lärm ist immer das Geräusch des anderen“, sagt Schreckenberg. Wer sich in den Ärger über den lauten Nachbarn noch hineinsteigert, verstärke die negativen Auswirkungen erst recht – das gilt es sich genauso bewusst zu machen wie die Tatsache, dass wir beim Lärm Täter und Opfer zugleich sind. Rücksicht üben, unnötige Geräusche vermeiden und unseren Ohren immer wieder ruhige Pausen gönnen, gerade nach Belastungen wie auf einem lauten Konzert, sind Dinge, die wir selbst tun können.

Die Bedeutung der Stille

Doch ist es dann endlich still, wird manch einer erst recht nervös. Stille kann beglücken, aber auch bedrücken. Ohne akustische Ablenkung ist der Mensch auf einmal mit sich selbst, seinen Wünschen und Sorgen konfrontiert. „In der Stille bricht meistens etwas auf“, weiß Anke Frickmann und macht Mut, die Stille dennoch zu wagen. Oft kläre und reinige sich in diesen Situationen etwas. Für die Diakonisse ist Stille eine Art „Seelen-und Körperhygiene“, wichtig für die Gesundheit und Gesundung des ganzen Menschen. „Stille ist ein Resonanzraum, um zu hören, was in mir ist. Um zu fühlen, was mich bewegt. Um zu merken, was mir wichtig ist.“