Kindheit ohne Kopfzerbrechen

Kopfschmerzen haben in den vergangenen Jahrzehnten enorm zugenommen, man unterscheidet inzwischen 363 Arten. Da verwundert es nicht, dass unter den 20 meistverkauften Medikamenten in Deutschland zwölf Kopfschmerzmittel sind.

Immer häufiger betroffen sind Kinder. „In Deutschland ist etwa die Hälfte der insgesamt rund 8,4 Millionen Schüler in Schule, Freizeit oder zu Hause von Kopfschmerzen betroffen, besonders anfällig sind Mädchen“, sagt der Kieler Neurologe und Schmerztherapeut Prof. Dr. Hartmut Göbel. Auslöser seien bei den Schülern zumeist Leistungsdruck, Freizeitstress und Reizüberflutungen. Bereits jedes zweite Kind im Grundschulalter habe regelmäßig Kopfschmerzen, jedes siebte Schulkind werde wegen Kopfschmerzen medikamentös behandelt. „Kopfschmerzen bei Kindern können zu psychischen Problemen führen oder sich zu lebenslangen Kopfschmerzen auswachsen“, warnt der Mediziner und Psychologe vor möglichen Folgen.

Kopfschmerzen als hartnäckiges Gesundheitsproblem

Eine repräsentative Untersuchung an Schulen ergab, dass bis zu 50 Prozent der Schüler Kopfschmerzen als wichtiges und hartnäckiges Gesundheitsproblem angeben. Aus dieser Befragung ergaben sich auch eindeutige Hinweise dafür, dass Kopfschmerzen einen wesentlichen Grund für die Entstehung von Suchtverhalten und Drogenmissbrauch darstellen. „Durch den Leidensdruck, den die Kopfschmerzen verursachen, können die Kinder für das Ausprobieren von Drogen empfänglich werden und versuchen, auf diesem Wege eine Befindlichkeitsverbesserung zu erzielen“, so Göbel. Spezielles Wissen zur Kopfschmerzbehandlung und Kopfschmerzvorbeugung hat daher eine große Bedeutung auch zur Verhinderung von Drogenabhängigkeit bei Kindern.

Prävention durch „Aktion Mütze“

Prof. Dr. Hartmut Göbel ist einer der bekanntesten Kopfschmerzspezialisten in Deutschland. Der gebürtige Würzburger ist Leiter der Kieler Schmerzklinik. Er baute ab 1989 eine spezielle Ambulanz für Migräne, Kopfschmerzen und neurologische Schmerzerkrankungen in Kiel auf.
„Aktion Mütze“ heißt ein Projekt zur Kopfschmerzprävention bei Schülern. Die BKK Diakonie ist offizieller Förderer des Projektes. Initiator ist das Zentrum für Forschung und Diagnostik bei Implantaten, Entzündungen, Schmerzen (ZIES). Prof. Dr. Hartmut Göbel, Neurologe und Schmerztherapeut, erläutert die Hintergründe.

Kopfschmerzen - eine Philosophie für sich

Kopfschmerzen sind ein weiter Begriff. Welche Varianten gibt es? Die moderne Wissenschaft unterscheidet heute 363 verschiedene Kopfschmerzhaupttypen. Eine Hauptgruppe sind die sogenannten primären Kopfschmerzen. Diese Kopfschmerzen sind also die Erkrankung selbst, andere Ursachen bestehen nicht. Kopfschmerzen können nur gelegentlich auftreten. Sie können jedoch auch täglich auftreten und zu schwerwiegenden gesundheitlichen Störungen führen. Daher sollten Kopfschmerzen immer ernst genommen werden, möglichst frühzeitig diagnostisch klar eingeordnet werden und einen speziellen Therapieplan erhalten. Welche besonderen Merkmale haben Kopfschmerzen bei Kindern? Kopfschmerzen bei Kindern zeigen zum Teil andere Merkmale als bei Erwachsenen. So sind Migräneanfälle bei Kindern häufig kürzer als bei Erwachsenen. Oft können Kinder noch gar nicht die verschiedenen Merkmale der Schmerzen verbal ausdrücken. Das gelingt erst im Laufe der Zeit. Kopfschmerzen können insbesondere auch das Lernverhalten in der Schule stark stören, Aufmerksamkeit und Konzentration können in Mitleidenschaft gezogen werden. So wird bei vielen Kindern der weitere Lebensweg durch Kopfschmerzen verbaut.

Ab welchem Alter können Kinder Kopfschmerzen haben? Kopfschmerzen treten unter Umständen bereits im Säuglingsalter auf. Zu diesem Zeitpunkt können sie in der Regel nur durch das Verhalten der Kinder erfasst werden. Im Vorschulalter sind bereits Migräneattacken und Spannungskopfschmerzen möglich. Mit dem Einschulungsalter werden Kopfschmerzen häufiger. Die Migräne erreicht im 14. Lebensjahr häufig schon einen Gipfel. Etwa doppelt so viele Mädchen sind betroffen.

Hat die Zahl der Betroffenen generell zugenommen? Internationale Studien zeigen, dass die Häufigkeit von Kopfschmerzen in den letzten 30 Jahren um über 300 Prozent angestiegen ist. Verantwortlich dafür können das familiäre, soziale und schulische Umfeld sein. Häufiger Umzug, Patchworkfamilien, alleinerziehende Eltern, hoher Medienkonsum und der Einfluss von vielen Freizeitaktivitäten belasten das kindliche Nervensystem intensiv. Es ist diesen Einwirkungen nicht gewachsen, die Folge sind vermehrte Kopfschmerzen.

Was kann der Betroffene dagegen tun? Betroffene Kinder und deren Familien können durch Information, durch Wissen und durch richtiges Verhalten Kopfschmerzen identifizieren und spezielle Verhaltensprogramme umsetzen. Im Vordergrund steht eine Regulierung des Tagesrhythmus, regelmäßige Ernährung, Einnahme der Mahlzeiten in Ruhe, Gleichtakt im Alltag, ausreichende Zeiten für Pausen, ein regelmäßiger Schlafrhythmus, sportliche Aktivitäten sowie Zeit für Ruhe und Entspannung. Die Arbeitsplatzgestaltung, das Ausrichten des Schreibtisches, der Arbeitsplatz und auch das Arbeitspensum sind weitere Faktoren, die auf das Kopfschmerzgeschehen einwirken und die optimiert werden können. Ebenfalls wichtig ist, wie man mit Medikamenten umgeht.

Das Projekt

Angesichts dieser Tatsachen haben Prof. Göbel und die Pädagogin Karin Frisch aus Wiesbaden die Unterrichtssequenz „Aktion Mütze – Kindheit ohne Kopfzerbrechen“ erarbeitet, die Lehrerinnen und Lehrern kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Mit dem Präventionsprogramm soll der Ausbreitung von Kopfschmerzen unter den Schülern vorgebeugt werden. Während einer zweijährigen Pilotphase in den siebten Klassen einer Schule in Schleswig-Holstein konnte nach Angaben von Karin Frisch durch die Präventionsstunden die Kopfschmerzanfälligkeit bei den Schülern um 70 bis 80 Prozent reduziert werden. In den drei Doppelstunden bekommen die Schüler Tipps, wie sie Kopfschmerzen beispielsweise durch einen geregelten Tagesablauf, regelmäßige Mahlzeiten, kohlehydratreiche Ernährung, maßvollen Medienkonsum und feste Ruhezeiten vermeiden können. Die Materialien können kostenlos von den Schulen angefordert werden. Erste Untersuchungen zeigen dabei, dass die Häufigkeit, die Belastung und die Komplikationen durch solche Kopfschmerzen deutlich gesenkt werden können.Weitere Infos auf: >> www.kopfschmerz-schule.de

 

 

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