Die Natur als geniale Apotheke

Die Wurzeln von Aspirin

Das alte Wissen über die Natur birgt viele Schätze: Wenn unsere Vorfahren eine Arznei brauchten, gingen sie ins Grüne. So wusste Hippokrates von Kos (460 – 377 v. Chr.), der berühmte griechische Arzt, der dem hippokratischen Eid seinen Namen gegeben hat, schon damals von der schmerzstillenden und fiebersenkenden Wirkung der Weidenrinde. Zur Linderung der Geburtswehenschmerzen beispielsweise riet er werdenden Müttern, Weidenrinde zu kauen. 1828 konnte der deutsche Pharmakologe Johann Andreas Buchner den Wirkstoff im Weidenrindenextrakt erstmals chemisch isolieren. Er erhielt Salicin in einer kleinen Menge nadelförmiger, gelber, bitter schmeckender Kristalle und benannte es nach dem lateinischen Salix, das übersetzt Weide bedeutet.
„Allerdings hatte die aggressive Salicylsäure den gravierenden Nachteil, dass sie Magenschmerzen und Verätzungen im Mund verursachen konnte. Deshalb suchten Forscher nach einer besser verträglichen, chemisch hergestellten Variante“, erklärt Dr. Pablo Serrano, promovierter Biologe (angewandte Pflanzenphysiologie) und Leiter des Geschäftsfeldes Innovation und Forschung/Biotechnologie beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) in Berlin. 1899 gelang der Durchbruch und das bis heute erfolgreichste Arzneimittel „Aspirin“ mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure (kurz ASS) kam auf den Markt.

Die Wurzeln von Penicillin

Ein weiterer Naturstoff, der die Medizin revolutioniert hat, ist das Antibiotikum Penicillin. Entstanden ist das Medikament durch eine wissenschaftliche Panne: 1928 entdeckte der schottische Bakteriologe Alexander Fleming, dass in eine seiner Bakterienkulturen ein Schimmelpilz geraten war. Als er die verunreinigte Probe wegwerfen wollte, fiel ihm auf, dass sich überall dort, wo sich der Pilz aus¬gebreitet hatte, keine Bakterien ansiedelten und dort, wo welche vorhanden waren, diese sogar eingingen. Der Forscher hatte also ein Mittel gegen bakterielle Erkrankungen gefunden. Aus diesem Stoffwechselprodukt des Schimmelpilzes entwickelte er wenig später einen der wichtigsten Arzneiwirkstoffe der Welt: das Penicillin. Als Lohn für die Erfindung des ersten Antibiotikums gab es 1945 den Nobelpreis.

Auch heute noch bewährte Mittel

Lediglich 1,25 Millionen Tier- und Pflanzenarten sind bereits beschrieben und katalogisiert
Es gibt viele Pflanzen, die seit Jahrhunderten für ihre medizinische Wirkung bekannt und heute noch immer in den Apotheken zu finden sind. So wurde Johanniskraut bereits im Jahre 795 gegen Melancholie gebraucht und wird heute noch als Medikament gegen depressive Verstimmungen verwendet.
Ein weiteres Beispiel ist Schlafmohn, der im Mittelalter als schmerzstillendes Mittel bei Amputationen verwendet wurde. Im Jahr 1806 gelang es dem Apotheker Friedrich Sertürner, den Wirkstoff Morphin aus dem getrockneten Milchsaft des Schlafmohns (auch Opium genannt) zu isolieren. Heutzutage wird das Medikament Morphin noch immer aus Schlafmohn gewonnen und dient der Behandlung starker Schmerzen.
Auch das bekannte Nervengift Botox hat einen natürlichen Ursprung. Im Jahr 1815 entdeckte der deutsche Mediziner Justinus Kerner, dass sich diese hochgiftigen Bakterien auf verdorbenem Fleisch entwickelten.
Ein weiterer Meilenstein der Naturstoffchemie war zudem die biotechnische Herstellung von Insulin Anfang der 80er-Jahre, das bis dahin ausschließlich aus Bauchspeicheldrüsen von Rindern und Schweinen gewonnen wurde.

Noch viele unentdeckte Schätze

Wissenschaftlichen Studien zufolge basieren auch heute noch mehr als zwei Drittel der im Handel erhältlichen Medikamente auf Naturprodukten oder sind solchen nachempfunden. Dabei birgt die Natur noch viele unentdeckte Schätze. Bislang hieß es vage: Auf der Erde existieren zwischen 3 und 100 Millionen Tier- und Pflanzenarten. Mit einer neuen Methode haben Wissenschaftler des internationalen Projekts „Census of Marine Life“ nun eine sehr viel genauere Zahl genannt: 8,7 Millionen Arten – plus/minus 1,3 Millionen. Lediglich 1,25 Millionen Arten seien bereits beschrieben und katalogisiert. Mehr als 90 Prozent sind noch gänzlich unbekannt. Dabei läuft den Forschern rund um den Globus die Zeit weg, denn: Viele wichtige Tier- und Pflanzenarten sterben aus, bevor sie überhaupt entdeckt werden.
Ein Beispiel dafür sind die Magenbrüterfrösche, die 1980 in Australien entdeckt wurden. Die Frösche brüten ihren Nachwuchs im Magen der Mutter aus. Normalerweise würden die Jungen im Magen verdaut werden, aber eine von den Kaulquappen produzierte Substanz blockierte vermutlich die Produktion von Magensäure und Enzymen, sodass die Kaulquappen vor der Verdauung geschützt waren. Forscher erhofften sich von Erkenntnissen über dieses „Kaulquappen-Sekret“ einen wichtigen Beitrag zur Behandlung von Magengeschwüren bzw. Magenkrebs. Die Studien konnten jedoch nicht fortgeführt werden, weil diese Amphibien-Art und mit ihr ihre medizinischen Geheimnisse ausgestorben sind.
„Durch den rücksichtslosen Umgang mit der Umwelt und dem damit verbundenen Artensterben entziehen wir uns die Grundlage wichtiger medizinischer Forschung“, bedauert Dr. Pablo Serrano. Denn auch wenn die Gewinnung dieser Stoffe aus der Natur oft sehr schwierig sein kann und das „Nachbauen“ im Reagenzglas mitunter viele Jahre dauert, haben die Wissenschaftler heute einen entscheidenden Vorteil: „Wir verstehen in der modernen Medizin immer mehr, wie eine Krankheit im Körper funktioniert und wissen genau, wo wir ansetzen müssen“, so Dr. Serrano. Umso wichtiger ist es, die Natur als geniale Apotheke zu erhalten.

 

 

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