Wofür nehmen Sie sich Zeit?

Mehr Zeit für Freunde und Familie, für Sport und Bewegung oder einfach nur Zeit für mich selbst – das wünschen sich viele Menschen und stellen fest: In unserem temporeichen Alltag bleiben oft die Dinge auf der Strecke, die uns wichtig sind.

Warum uns Schnelligkeit nicht immer weiterbringt

Wer könnte nicht manchmal eine Stunde extra am Tag gebrauchen, um all das zu erledigen, wofür die Zeit mal wieder nicht reichte?

Nicht nur im Berufsleben, auch in der Freizeit oder im Ruhestand sind viele Menschen „voll ausgelastet“ und haben „keine freie Minute“. „Der technische Fortschritt, der unser Leben eigentlich erleichtern und Zeit sparen soll, bewirkt dabei oft das Gegenteil und beschleunigt unser Leben weiter“, sagt Martin Liebmann, Philosoph und Vorsitzender des Vereins zur Verzögerung der Zeit.

Denn jede technische Innovation eröffne neue Möglichkeiten: Mit dem Auto oder Billigflieger düsen wir durch die Welt und legen mehr Kilometer zurück, als es sich unsere Vorfahren je hätten vorstellen können. Mit dem Smartphone oder Computer können wir bequem Nachrichten verschicken und haben unsere schriftliche Kommunikation vervielfacht. „Wir sind im Rausch der Optionen und versuchen, immer mehr Erlebnisse in unser Leben hineinzupacken, aus Angst, wir könnten etwas versäumen.“ Doch macht das zufrieden? Bringt uns Schnelligkeit immer weiter? Welche Werte werden zerstört, wenn wir uns in unnötiger Hektik verlieren? Mit solchen Fragen will Liebmann zum Nachdenken anregen und ist überzeugt: „Die allgemeine Beschleunigung macht Menschen unglücklich und führt zu einem Leben ohne Resonanz.“ Zu einem Gefühl der Entfremdung, wie es der Soziologe Hartmut Rosa sagt, mit Folgen bis hin zu Depressionen oder Burn-out.

Wechsel von Aktivität und Entspannung

Zeitdruck und Hetze rauben nicht nur Lebensqualität, sie können tatsächlich krank machen. „In Umfragen gehören sie zu den am häufigsten genannten Stressfaktoren“, bestätigt Prof. Gert Kaluza. Wenn ich befürchte, selbstgewählte oder auferlegte Aufgaben nicht rechtzeitig zu schaffen, schaltet der Körper automatisch einen Gang höher. Der Plus geht schneller, Energiereserven werden mobilisiert, wir fangen an zu schwitzen. Hält dieser Zustand an und gönnen wir uns zu wenig Erholungsphasen, belastet das den Körper. „Herz-Kreislaufprobleme oder Rückenschmerzen können genauso Folgen sein wie Verdauungsstörungen, Erschöpfungszustände oder ein geschwächtes Immunsystem“, sagt der Autor des Buches „Gelassen und sicher im Stress“.

Wie aber können wir Zeitstress verringern?

„Dazu müssen wir erst einmal erkennen, was uns die Zeit raubt“, erklärt Kaluza. Werde ich bei der Arbeit ständig unterbrochen oder stehe ich bei der Fahrt zum Job oft im Stau? Was ist mit der inneren Einstellung? Bin ich zu perfektionistisch oder kann ich nicht Nein sagen? Arbeite ich gegen den eigenen Biorhythmus – ein Problem gerade für Menschen im Schichtdienst. „Zu einem gesunden Umgang mit der Zeit gehören auch Pausen. Wenn ich zu lange durcharbeite, werde ich unproduktiv. Aus dem Sport wissen wir, wie wichtig Regenerationsphasen sind, das lässt sich auf den Alltag übertragen“, sagt der Gesundheitspsychologe und ergänzt: Damit Freizeit erholsam ist, sollte sie ein Gegengewicht zur Arbeit bilden. Wer im Job körperlich gefordert ist, profitiert vielleicht von geistiger Anregung und umgekehrt. Wer viel mit Menschen arbeitet, sollte sich in der Freizeit auf sich selbst besinnen. „Wichtig ist, dass wir Erholungszeiten selbstbestimmt gestalten und uns freimachen von den Erwartungen anderer“, so Kaluza. Die Kunst sei, einen guten Wechsel von Aktivität und Entspannung zu finden. „Das ist lebendiges Leben.“

Das Rätsel der Zeit

Manchmal kriechen die Stunden, manchmal scheint die Zeit still zu stehen, dann wieder rast sie uns förmlich davon. Der Zeitforscher Marc Wittmann beleuchtet in seinem Buch „Gefühlte Zeit“, wie der Mensch Zeit wahrnimmt und geht auch auf ein bekanntes Phänomen ein: Je älter wir werden, desto schneller scheint die Zeit zu vergehen. Eine Erklärung: Mit zunehmendem Alter wiederholen sich viele Dinge und werden weniger intensiv im Gedächtnis behalten. Neues lernen und Routinen ab und an durchbrechen kann helfen, Zeit bewusster zu erleben. Auch durch Meditation und Achtsamkeitsübungen können wir Zeit und uns selbst besser fühlen, sagt der Forscher.